Freitag, 23. Dezember 2016

"Kartoffelschalen"

Nach einem weiteren Arbeitstag nehme ich ein Taxi vom Waisenheim in Havana zurück zu meinem kleinen Häuschen in Dorado Park, Windhoek. Havana, das Township im Township, mit über 30.000 Einwohnern für die die Regierung nicht einen Finger krümmt. Bis zu 8 Menschen leben in einer silber glänzenden 15m²-Wellblechhütte. Wasser gibt es kaum, ebenso wie Essen. Neugeborene Babys mit einer Behinderung werden Tod in zugebundenen Plastiktüten aufgefunden. Leider sind das alles keine Ausnahmen.
Mir gehen die Erlebnisse der letzten 5 Stunden aus dem Waisenheim nicht mehr aus dem Kopf.  Wie Filme spielen sich bestimmte Szenen in Dauerschleife vor meinen Augen ab. Zu Hause komme ich an und gelange durch die Garage zu meiner Eingangstür. Ein eigenes Haus mit eigenem Zimmer, einer Dusche, Strom... Mir wird irgendwie komisch bei dem Gedanken. Ich habe Hunger ohne Ende und schmeiße meine Tasche schnell aufs Bett um mir Essen zu machen. Mein eigenes Bett. Ich muss an Ashanti denken, wie sie mir eben noch von ihrem Traum erzählt hat, eines Tages ein eigenes Bett zu haben, in dem sie ganz alleine schlafen darf und ganz viel Platz hat um ihre Beine und Arme auszustrecken.
Beim kochen fällt mir eine Hand voll Nudeln aus dem Topf. Nun liegen sie auf dem Boden, den ich schon seit längerer Zeit vergessen habe mal wieder zu wischen. Kurz wandern meine Augen zum Mülleimer neben dem Kühlschrank, aber dann gucken mich in meinen Gedanken 40 Augenpaare voller Entsetzen an. Also schmeisse ich die leicht sandigen Nudeln wieder in den Topf. Und wieder kommt mir eine Szene in den Kopf... Ich stand eben noch mit Linda in der "Küche", in Havana und habe Kartoffeln geschält um sie zu kochen, zu fritieren und dann Pommes zu machen. Bestimmt 15 Kinder stehen in der Küche und schauen uns voller Vorfreude dabei zu. Linda und ich können sehen, wie sich die Bäuche der Kleinen schon aufgebläht haben. Wann sie wohl das letzte Mal gegessen haben... Schnell versuche ich meine Aufmerksamkeit wieder dem Kartoffelschälen zu widmen -  ohne Erfolg. Irgendetwas ist plötzlich vom Tisch verschwunden und schnell fällt mir auf was es ist. Die Schale mit den Kartoffelschalen. Die Kinder haben sie sich genommen und jetzt sitzen alle um die Schale herum und teilen sich die ungewaschenen, schmutzigen Kartoffelschalen. Erst will ich die Schale wieder auf den Tisch stellen, aber ich bringe es nicht übers Herz. Später beim gemeinsamen Essen beten wir alle zusammen und irgendwie bin ich gerührt, wenn ich in all die frohen Gesichter blicke. So viel Armut und Schmerz, aber trotzdem glücklich. Natürlich nicht immer, das lassen die Umstände einfach nicht zu. Wie viel jedoch dort im Waisenheim gelacht wird, wie herzlich die Kinder miteinander umgehen, das führt mir vor Augen worauf es in dieser Welt wirklich ankommt.


Ich esse meine Nudeln auf und mache mich bettfertig. Solche Abende kommen in letzter Zeit immer häufiger vor, vor allem wenn ich den ganzen Tag in Havana gewesen bin. So etwas darf es nicht geben, es ist so ungerecht. Ich wünsche mir so sehr, dass Linda und ich es schaffen das Waisenheim offiziell zu registrieren und an Spender, Sponsoren, Paten kommen. Vielleicht kann dann bald jedes der Kinder zur Schule gehen und muss weder hungern noch dursten. 
Ich wünsche euch allen frohe Weihnachten und ein paar wunderbare Tage mit der Familie und Freunden! Jeder sollte sich an diesem Tag bewusst werden warum wir das Fest feiern und was es abseits von Geschenken und Essen wirklich bedeutet. Ich feiere Weihnachten dieses Jahr zusammen mit Linda und den Kindern aus Havana. Auch wenn meine richtige Familie zu Hause in Deutschland sitzt, sind wir hier schon fast so etwas wie eine kleine Familie. Zwar sprechen wir nicht dieselbe Sprache aber um sich gegenseitig lieb zu haben braucht es keine Wörter oder Sonstiges, sondern nur ein warmes Herz.

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